Die Herausforderung:
Wer in Tübingen eine Wohnung sucht, hat schlechte
Karten. Bezahlbarer Wohnraum ist Mangelware – zur Miete genauso wie im
Eigentum. Und die Nachfrage steigt weiter: Die Universität rechnet in
wenigen Jahren mit 5.000 zusätzlichen Studierenden. Das einzige größere
Baugebiet, das in der Amtszeit von OB Russ-Scherer hinzukam – das
Mühlenviertel – ist schon zum Verkaufsstart dreifach überbucht.
In der Konsequenz ziehen immer mehr Menschen ins
Umland, obwohl sie lieber in der Stadt blieben. In den letzten 15 Jahren
sind die übrigen Gemeinden im Kreis Tübingen um 18% oder 20.000 Köpfe
gewachsen, während in der Stadt heute nicht mehr Menschen wohnen als 1993.
Diese Entwicklung ist fatal. Vor allem junge Familien
verlassen Tübingen gezwungenermaßen und kehren häufig als Autopendler
zurück. Die Neubaugebiete in Ofterdingen, Dußlingen oder Hirrlingen fressen
sich in die Landschaft, die Staus auf den Straßen werden länger, die
Umweltzerstörung wächst. Tübingen gehen aktive Bürgerinnen und Bürger und
mit ihnen Kaufkraft, Leben und Steuereinnahmen verloren.
Während im Umland Neubaugebiete auf Äckern und Wiesen
entstehen, liegen in Tübingen große Flächen ungenutzt herum und verunstalten
die Stadt. Ehemalige Industrieareale wie Egeria und Queck in Lustnau oder
das riesige Gelände des alten Güterbahnhofs werden nie wieder ihren alten
Zweck erfüllen. Um dort Neues entstehen zu lassen, müssen wir uns beeilen,
sonst findet das nur noch bis 2020 zu erwartende Bevölkerungswachstum erneut
außerhalb der Stadtgrenzen statt. Wenn die Wohnungen erst im Umland gebaut
sind, wird es kein Geld und keinen Bedarf mehr geben, die Tübinger
Altflächen zu nutzen.
Ebenso wichtig ist der Erhalt und die Belebung
bestehender Quartiere. Auf dem Herrlesberg wohnt es sich gut, aber für ein
lebendiges Quartier fehlt es an Orten der Begegnung, an
Einkaufsmöglichkeiten und Arbeitsplätzen. In den Teilorten sind bestehende
Strukturen insbesondere im Handel gefährdet und müssen gestärkt oder wieder
aufgebaut werden.
Das Programm für Tübingen:
Tübingen hat mit der Südstadtentwicklung europaweit
Aufmerksamkeit erregt. Auf alten Kasernengeländen entstanden neue Quartiere.
Kennzeichnend für dieses Konzept der „Stadt der kurzen Wege“ sind eine
lebendige Mischung aus Arbeiten, Freizeit, Einkaufen und Wohnen, Gestaltung
des öffentlichen Raums als Ort von Spiel und Begegnung, soziale Vielfalt,
eine Konzept zur Minimierung des Autoverkehrs, geringer Energieverbrauch und
hohe bauliche Dichte. Letzteres wird gelegentlich kritisiert, ist aber die
Voraussetzung dafür, dass sich ein Leben im Quartier mit Kneipen, Lokalen
und Geschäften überhaupt entwickeln kann.
In Loretto und dem Französischen Viertel fanden mehr
als 3.000 Menschen eine Wohnung, über 700 Arbeitsplätze wurden angesiedelt.
Und dafür musste kein Quadratmeter Natur geopfert werden: All das entstand
auf Brachflächen. An dieses Erfolgsprojekt müssen wir anknüpfen.
Das Südstadtprojekt, das bislang nur zu 40% realisiert
ist, muss entsprechend dem Rahmenplan weiter voran getrieben werden: Die
größte Brache in der Stadt ist der ehemalige Güterbahnhof, der nicht mehr
genutzt wird. Als OB würde ich weiter darauf drängen, dass bei der B 27
keine Zeit mehr verschenkt wird. Je schneller der Tunnel in Betrieb geht, um
so eher kann die Südstadt zusammenwachsen.
In Lustnau kann auf den ehemaligen
Betriebsgeländen von Queck und Egeria gebaut werden. In Derendingen sind entlang
der Konrad-Adenauer-Straße und in den Mühlbachäckern große landeseigene Flächen
neu nutzbar. In der Weststadt entlang der Ammertalbahn bis hin zum städtischen
Bauhof, am ehemaligen Schlachthof und am heutigen technischen Rathaus liegen
weitere Entwicklungsmöglichkeiten der Stadt.
Der Einwand, die genannten Flächen seien zwar
ungenutzt, aber dennoch nicht nutzbar, darf uns nicht abschrecken. Es ist zwar
richtig, dass die Eigentumsverhältnisse oft problematisch sind oder Altlasten
die Nutzung erschweren. Einen entsprechenden politischen Willen,
Gestaltungskraft und Verhandlungsgeschick vorausgesetzt, lässt sich das jedoch
überwinden.
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Entscheidend ist, dass die Stadt sich
überhaupt an die Entwicklung der Flächen macht. Das Rechtsinstrument des
städtebaulichen Entwicklungsbereich steht dafür zur Verfügung, wird aber nicht
mehr eingesetzt. Die städtische Grundstücksgesellschaft und das
Stadtsanierungsamt können nicht mehr als ein Projekt von der Größe des
Mühlenviertels gleichzeitig stemmen.
Ich will deshalb städtebauliche
Entwicklungsbereiche auf den Brachflächen ausweisen und die städtische
Grundstücksgesellschaft sowie das Stadtsanierungsamt mit zusätzlichem Personal,
Budgetmitteln für den Einkauf externer Leistungen und Kapital zum Grunderwerb
ausstatten. So wird es gelingen, allen ein Angebot zu machen, die am Bauen auf
derartigen Flächen interessiert sind. Dann erübrigt sich die Diskussion über ein
großes Neubaugebiet auf Äckern und Wiesen jenseits der Bahnlinie in Derendingen
(Ecocity-Projekt im Saiben).
Wenn Tübingen den Ausweg in die freie
Landschaft wählt, werden die Gemeinden um uns herum das als Rechtfertigung für
die Ausweisung weiterer Baugebiete aufgreifen. Ich will deshalb entschlossen die
Aktivierung der Brachflächen betreiben und den Saiben als stadtnahen
Grünbereich, Frischluftschneise und wichtige Fläche zur Grundwasserneubildung zu
erhalten.
Für die Vergabe der Baugrundstücke hat sich
bereits ein sehr gutes Verfahren eingespielt: Der Preis steht fest, den Zuschlag
erhalten die Bauwilligen mit dem besten Konzept. Baugemeinschaften werden
Investorenmodellen vorgezogen. In Zukunft soll dabei noch stärker auf das
Zusammenleben mehrere Generationen und soziale Faktoren geachtet werden. Zudem
sollte das Energiekonzept neuer Quartiere von Beginn an auf solare
Wärmeversorgung ausgerichtet werden.
Von einem bedarfsdeckenden Angebot an
Bauflächen für Stadthäuser profitiert auch der Mietwohnungsmarkt, denn häufig
räumen die Mitglieder von Baugemeinschaften eine Mietwohnung, wenn sie in ihr
neues Eigentum ziehen. Die Stadt muss in Zukunft allerdings auch dafür sorgen,
dass die Mietpreisbindung in Stadtentwicklungsbereichen tatsächlich eingehalten
wird. Die Erstellung eines Mietspiegels halte ich zumindest für Wohnungen mit
mehr als zwei Zimmern für sinnvoll, damit Mieter eine Grundlage bekommen, sich
gegen überzogene Mietforderungen zu wehren. Für den Zusatzbedarf an Wohnraum für
Studierende sollten Grundstücke in Erbpacht zur Verfügung gestellt werden. Die
Erstvermietung von Wohnraum im Baubestand sollte die Stadt durch eine
Servicestelle erleichtern.
Bestehende Quartiere durch mehr
Nutzungsmischung lebendiger werden zu lassen und vorhandene Nutzungsvielfalt zu
erhalten, muss für die Stadtentwicklung so wichtig werden wie die Gestaltung
neuer Quartiere. Gerade für ältere Menschen ist es wichtig, im Ort die
Bedürfnisse des Alltags befriedigen zu können. Vorbildliche Initiativen wie der
Dorfladen in Pfrondorf verdienen Nachahmung, wenn sonst die Versorgung mit
Lebensmitteln am Ort nicht gesichert werden kann. In Waldhäuser Ost sollte mit
der Bürgerschaft über Möglichkeiten zur Quartiersaufwertung etwa durch einen
Rückbau der Zufahrt zum Berliner Ring und Ansiedlung fehlender Funktionen auf
frei werdenden Baufenstern diskutiert werden. Dafür will ich den
Diskussionsprozess der Planungswerkstatt aufgreifen und schnell entsprechende
Maßnahmen einleiten.
Mein Ziel ist es, bis zum Jahr 2020 auf den
ungenutzen Flächen in der Stadt Wohnraum für 10.000 Menschen zu schaffen und
2.000 Arbeitsplätze entstehen zu lassen. So könnten wir den dringendsten und
elementarsten Mangel in der Stadt beheben und Tübingen als Modellstadt für
modernen Städtebau international etablieren.
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