Die Herausforderung:
Die offenkundige Bedeutung von Kindern für die Zukunft einer Gesellschaft haben wir in Deutschland erstaunlich spät entdeckt. Familien
mit Kindern sind zu einer Minderheit geworden. In nur noch 15% aller Tübinger Haushalte leben Kinder! Die Gründe dafür sind vielschichtig, doch sie liegen auch im unmittelbaren
Lebensumfeld, in der Kommune.
Bis vor kurzem mussten junge Eltern sich zu Vereinen zusammenschließen und viel Geld und Zeit in Kleinkind-Betreuungsgruppen
investieren, wenn sie nicht mit Arbeit oder Studium bis zum dritten Geburtstag des jüngsten Kindes warten wollten. Auch das ist ein Grund, warum die Hälfte aller Tübinger Eltern kein zweites Kind bekommen hat. Noch immer gibt es einen Mangel an Kleinkind-Betreuungsangeboten.
Die Umsetzung des „Orientierungsplanes
für Bildung und Erziehung“ in den Kindergärten kommt nur schleppend voran. Es fehlt an Qualifizierungsmöglichkeiten
für die Erzieherinnen und Erzieher. Die Betreuungsschlüssel liegen knapp über den Mindestanforderungen.
Mit der Schulpflicht beginnen oft neue Betreuungsprobleme. Die Angebote in den Schulferien reichen nicht aus. Wirkliche Ganztagesschulen genehmigt das Kultusministerium
bisher nur an Schulen in sozialen Brennpunkten, der Aufbau von offenen Ganztagesschulen
mit Vereinsangeboten erfordert noch viele Anstrengungen.
Auch in Tübingen entscheidet die soziale
Herkunft über die Bildungschancen von Kindern. Auch in Tübingen sind soziale Abschottung,
Bildung von Problemgruppen und Desintegrationserscheinungen im gegliederten
Schulsystem zu beobachten. Wir beklagen den Kindermangel und lassen doch zu, dass viele Kinder ihre Begabungen nicht entfalten können. Viele Vereinsangebote werden vor allem von den wohlhabenden und gebildeten Schichten genutzt. Kinder mit Behinderungen dürfen nur selten Regelschulen besuchen.
Bei der Suche nach preiswertem Wohnraum
tun sich Familien besonders schwer. Die Straßen gehören auch in Wohngebieten eher den Autos als den Kindern. Wohnungsnahe Spielmöglichkeiten sind nicht immer vorhanden
oder nicht attraktiv. Jugendlichen fehlt es an geeigneten Treffpunkten mit und ohne Aufsicht.
Das Programm für Tübingen:
Ob junge Menschen sich einen Kinderwunsch erfüllen können, hängt in der heutigen Arbeitswelt
häufig von der Verfügbarkeit guter Betreuungs- und Bildungsangebote ab. Das gilt in einer Stadt mit einem großen Anteil hervorragend ausgebildeter Frauen ganz besonders. Ich will als Oberbürgermeister dafür sorgen, dass die Stadt vom Jahr 2008 an allen Eltern, die dies wollen, eine Garantie für einen Betreuungsplatz ab dem ersten Geburtstag
ihres Kindes geben kann. Die Stadt muss versuchen, Eltern im eigenen Stadtteil einen Betreuungsplatz anzubieten, damit der Hol- und Bring-Service den Tagesablauf nicht zum Dauerstress macht.
Ein solcher Betreuungsplatz kann in altersgemischten
Gruppen, bei Tageseltern, bei städtischen oder freien Einrichtungen als Ganztags- oder Teilzeitplatz angeboten werden.
Die Stadt sorgt für die Angebotsgarantie und lässt den Eltern die Wahl, wofür sie sich entscheiden. Die unfaire Benachteiligung der freien Kleinkindgruppen bei der Bezuschussung
durch die Stadt will ich deshalb beenden.
Sie bekommen bislang nur etwa 30% ihrer Kosten ersetzt. Ich trete für eine Gleichbehandlung
aller freien Einrichtungen und eine entsprechende Erhöhung des städtischen Zuschusses auf etwa 70% der Kosten ein.
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Der Kindergarten muss heute als Teil des Bildungsweges verstanden werden. Die Stadt muss dafür werben, dass alle Kinder, besonders
aus bildungsfernen Elternhäusern, ab dem dritten Lebensjahr einen Kindergarten besuchen. Damit der Kindergarten auch Bildungsgarten
sein kann, muss der Personalschlüssel
stufenweise verbessert werden. Weiterbildung
ist einer der häufigsten Wünsche der Erzieherinnen und Erzieher. Weil das Land hier seiner Verantwortung für den „Orientierungsplan“
nicht gerecht wird, bleibt vorerst nur die Schaffung eines angemessenen Weiterbildungsbudgets für alle Kinderbetreuungseinrichtungen
durch die Stadt.
Die Betreuung von schulpflichtigen Kindern ist für viele Familien ein Problem, das von der Landesregierung viel zu lange ignoriert wurde.
Immerhin sollen nun Ganztagesangebote in den Schulen entstehen. Auch das wird die Kommunen wieder fordern, denn mit Lehrerstunden
hält sich das Land zurück. Die Vereine,
die mit ihren Angeboten in die Schulen kommen sollen, brauchen organisatorische Unterstützung. So wäre es zum Beispiel eine Überlegung wert, dem französischen Vorbild folgend, einen Schulsportnachmittag in der Woche an allen Schulen für Vereine zu reservieren.
Der Tübinger Kindersommer, der dieses Jahr erstmals Betreuungsangebote in den großen Ferien bereit gestellt hat, muss zur Dauereinrichtung werden und durch ein Sommercamp für Sprachförderung ergänzt werden.
Damit jedes Kind die Chance erhält, seine musischen, sozialen, kulturellen und sportlichen Talente voll zu entwickeln, muss die Stadt mit den Vereinen über eine Ausweitung
der Tübinger BonusCard ins Gespräch kommen. Familien mit geringen Einkommen sollen finanziell die Möglichkeit bekommen und aktiv ermutigt werden, ihre Kinder an Vereinsangeboten teilnehmen zu lassen. Dies ist um so wichtiger, als auch die Angebote der offenen Ganztagesschulen leider teilweise gebührenpflichtig sein werden, weil die Landesregierung
hier sparen will.
Das Zusammenleben der Generationen gehört zu einer kinderfreundlichen Stadt. Mehrgenerationenhäuser, die KiTa im gleichen
Haus mit Seniorenwohnungen, Spiel- und Begegnungsmöglichkeiten im Straßenraum:
auch hier erweist sich das Quartierskonzept
der „Stadt der kurzen Wege“ als gewinnbringend und muss vorangetrieben werden. Da eine Stadt nie genug Spielplätze
für den natürlichen Bewegungsdrang der Kinder bauen kann, sollen deutlich mehr Spielstraßen im Stadtgebiet ausgewiesen werden.
Das Spielplatzverbundkonzept, das seit drei Jahren in Schubladen verstaubt, muss umgesetzt werden. Ich möchte, dass Tübingen
sich darum bewirbt, am Programm des Kinderschutzbundes für eine Spielleitplanung teilzunehmen. Die Weststadt bietet sich dafür als Modellbereich an. Freizeitangebote, die in Tübingen fehlen, wie z. B. Minigolf, sollten aktiv angesiedelt werden. Bei der Vergabe von Bauoptionen soll das Zusammenleben der Generationen von Anfang an ein zentrales Kriterium sein.
Jugendliche müssen in der Stadt mehr Möglichkeiten erhalten, ihr Bedürfnis nach Eigenständigkeit und Abgrenzung gegenüber der Erwachsenenwelt auszuleben. Bushaltestellen
oder Einkaufsmärkte sind dafür kein Ersatz. Die Jugendlichen sollen stärker als bisher
mitgestalten können. Die Stadt muss mit den jungen Leuten gemeinsam nach Orten und Angeboten suchen, die für sie interessant sind. Ob zum Sprayen, zum Musik machen oder einfach zum „Abhängen“.
Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, dass Tübingen eine Stadt wird, in der Familien mit Kindern Platz finden, sich wohl fühlen, und mehr Menschen sich für Kinder entscheiden. Mein Ziel ist eine Stadt, in der jedes Kind seinen
Begabungen entsprechend gefördert wird und das Zusammenleben der Generationen gelingt.
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