Die Herausforderung:
Tübingen hat eine starke Diskussionskultur. Hier leben Menschen, die mitreden wollen, wenn über ihre Anliegen entschieden wird. So entstand – trotz widriger Umstände eines allzu stark gelenkten Prozesses – ein Leitbild, das sehr klare Ziele für die nahe und mittlere Zukunft formuliert. Doch das Papier ist in der Schublade verschwunden, Verbindlichkeit hat es nie erlangt: So wird Engagement entmutigt!
Der Dialog zwischen Verwaltungsspitze und Bürgerschaft ist zur Einbahnstraße geworden. Die Bürgerschaft kommt kaum noch zu Wort, Bürgerversammlungen sind eine Seltenheit, zumal in den Stadtteilen. Wichtige Informationen
erreichen die Öffentlichkeit oft erst wenige Tage vor der Beschlussfassung, Entscheidungen
werden übers Knie gebrochen. Auch dem Gemeinderat werden wichtige Fakten
viel zu spät oder nur durch erzwungene Akteneinsicht zugänglich gemacht. Zu oft wird eine Auffassung der Verwaltung mit der Brechstange
gegen die Bürgerschaft durchgesetzt. Nicht selten erreicht dieser Stil das Gegenteil des Ziels, wie sich am Beispiel des Afro-Brasil belegen lässt.
Die Tübinger Verwaltung ist zu sehr auf die Spitze ausgerichtet. Aus Furcht, mit einem unerwünschten
Vorschlag hart anzuecken, ziehen
viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung lieber den Kopf ein. Die allzu kurze Leine demotiviert – Mangelausstattung, Zuständigkeitsverwirrungen und Privatisierung von Kernkompetenzen verstärken dieses Problem.
Moderne Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen
über den Lebenszyklus einer Investition sind die Ausnahme. Einsparpotenziale liegen brach, neue Instrumente der wirtschaftlichen Aufgabenerledigung werden nicht eingesetzt.
Das Programm für Tübingen:
Die Menschen und ihre Anliegen müssen wieder im Mittelpunkt stehen. Als Oberbürgermeister
will ich stets ein offenes Ohr für Sorgen, Beschwerden und Anregungen haben.
Zusammen mit der Verwaltung will ich klare Wege für ein zuverlässiges Beschwerde-Management festlegen.
Ich stehe für eine dialogorientierte Politik. Ich werde mich dafür einsetzen, die Öffentlichkeit
bei allen Entscheidungen möglichst früh zu beteiligen. In skandinavischen Ländern
gibt es dafür ein Informationsfreiheitsgesetz:
Ich glaube, dass auch das Tübinger Rathaus kein Herrschaftswissen braucht. Gemeinderatsvorlagen sollen schon bei der Vorberatung öffentlich sein. Im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen sollen möglichst viele Sitzungen von Aufsichtsräten und Gremien
öffentlich stattfinden.
Ich werde dem Gemeinderat vorschlagen, das existierende Leitbild erneut zu debattieren, Dissens anzumelden, diesen zu klären und schließlich einen verbindlichen Beschluss zu fassen. Der Gemeinderat und der Oberbürgermeister
sollen sich dem Leitbild verpflichten
und an seiner Realisierung arbeiten. Änderungen
des Leitbilds sollen nur nach einer Bürgerversammlung erfolgen. In verfahrenen Konfliktfällen, in denen die Verwaltung selbst Partei ist, scheint es mir richtig, als OB die Leitung von Gesprächen abzugeben und ein Mediationsverfahren anzubieten.
Ich weiß, dass sich viele Menschen in der Stadt fragen, wie ich die Verwaltung führen werde. Ich bin mir sicher, dass ich die dafür notwendigen Fähigkeiten erworben habe. Ein Oberbürgermeister muss erkennen, was die Menschen wollen, was die Stadt als ganzes braucht, und dafür innerhalb der Verwaltung machbare Lösungsvorschläge entwickeln. Er muss Mittler sein zwischen Bürgerschaft, Gemeinderat
und Stadtverwaltung. Gefragt sind dabei Bürgernähe, Mut und die Fähigkeit, Menschen zu einem Team zusammenzuführen
und zu motivieren – also für gemeinsame Ziele begeistern zu können. Eine Verwaltung braucht an der Spitze nicht in erster Linie Verwaltungserfahrung, wenn alle Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter ihre Erfahrung in die gemeinsame Arbeit einbringen können.
Die von der Oberbürgermeisterin mit teuren
Unternehmensberatern begonnene Verwaltungsreform
will ich korrigieren. Während die Einführung von Fachbereichen sinnvolle Verbindungen zwischen Ämtern schafft, die zuvor getrennt operiert haben, sind die sogenannten
Kompetenz-Center ein Irrweg. Die dadurch entstehende „Matrix-Struktur“ führt vor allem zu Zuständigkeitsstreitigkeiten, Doppelarbeit
und Missmut. Ich will den laufenden Aufbau von Kompetenz-Centern abbrechen und die dafür bereits eingesetzten Personalstellen
wieder zur Stärkung der Fachbereiche und Ämter nutzen. Dann können auch die Aufgaben der Kompetenz-Center wieder reibungslos
erledigt werden.
Wirtschaftliches Handeln ist in klassischen Verwaltungsstrukturen noch immer schwierig. Auch wenn sich manches verbessert hat, sind viele Hemmnisse geblieben. Ein großes Problem
ist die segmentierte Betrachtung von Haushaltstiteln. Eine Investition wird darauf überprüft, ob sie in einen Etat passt. Besser wäre es, zu fragen, ob sie sich rechnet. Der Gemeinderat wird in die Irre geführt, wenn er nur die Investitionskosten zu Gesicht bekommt,
nicht aber Wertverluste und Folgekosten.
Die Neueinrichtung einer Ampelanlage sieht so für den Gemeinderat zunächst billiger aus als ein Umbau der Kreuzung zum Kreisverkehr.
Die Ampel kostet aber mehr in der Unterhaltung und ist unter dem Strich teurer. Trotzdem wird gerade an der Kunsthalle ohne Not eine neue Ampelanlage installiert.
Besonders eklatant ist der Unterschied zwischen Investitionen und Betriebskosten bei öffentlichen Gebäuden. In der Regel entfallen
nur 20% der Gesamtkosten auf den Bau und 80% auf Erhaltung und Betrieb. Weil das Hochbauamt und von ihm beauftragte Architekten
die Kosten im Hinblick auf den Bau und nicht auf den Betrieb optimieren, entstehen oft unnötige Kosten. Das gesamte Gebäudemanagement
muss in eine Hand gegeben und wirtschaftlich organisiert werden.
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Der enorme Sanierungsrückstand bei den städtischen Gebäuden, von den Schulen über Kindergärten bis zum Technischen Rathaus kommt die Stadt teuer zu stehen. Die Investitionshaushalte
geben derzeit aber nicht mehr her. Der Ausweg kann eine Kooperation mit der privaten Wirtschaft sein. Sanierung und Betrieb städtischer Gebäude können für einen festgelegten Zeitraum ausgeschrieben und vergeben werden. Dadurch kann die Sanierung
und die damit verbundene Einsparung auch ohne weitere städtische Verschuldung realisiert werden. Die Stadt Freiburg hat diesen
Weg gerade beschritten und erzielt damit Einsparungen von 25 Millionen Euro – ohne Qualitätsverluste.
Ein privater Betreiber muss keine Formulare
ausfüllen und Etats anzapfen, wenn Reparaturen
anstehen, wird zu deren Erledigung aber vertraglich verpflichtet. Die Sanierung der Gebäude erfolgt von Beginn an unter einer Lebenszyklusperspektive. Zum Beispiel würde ein privater Betreiber durch energetische
Sanierungen bei den städtischen Gebäuden
sofort Einsparpotenziale heben, die in der klassischen Verwaltungsmethodik seit Jahren liegen bleiben. Wir sollten uns auf den Weg machen, gemeinsam mit Handwerk, Dienstleistern, Architekten, Ingenieuren und Banken in der Region ein ähnliches Modell zu realisieren. Ich will dem Gemeinderat vorschlagen, dafür einige Gebäude mit großem
Sanierungsbedarf auszuwählen und eine Machbarkeitsstudie durchzuführen. Wenn wir neue Wege beschreiten, kann der Verfall der Substanz öffentlicher Bauten in der Stadt rasch gestoppt werden.
Private Unterstützung in der Aufgabenerledigung
der Verwaltung muss allerdings wohl überlegt sein. Ein Fehler ist es nach meiner Überzeugung, städtische Ämter personell so abzumagern, dass Kernaufgaben der Verwaltung
nur noch durch externe Vergaben zu erledigen sind. Eine Stadtverwaltung muss selbst in der Lage sein, Bebauungspläne bis zur Inkraftsetzung zu bearbeiten, ohne teure Büros zu Rate zu ziehen. Hier ist in den letzten acht Jahren zu viel privatisiert worden. Ebenso
hätte man sich manches Gutachten und manchen teuren Unternehmensberaterauftrag besser gespart und stattdessen die Kompetenzen
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter entwickelt. Diesen Weg möchte ich in und mit der Verwaltung beschreiten.
Die Verschuldung der Stadt ist in den letzten
Jahren wieder angestiegen. So weit dafür Steuerausfälle und Kreisumlage verantwortlich
waren, kann dies niemand in der Stadt angelastet werden. Die Oberbürgermeisterin muss allerdings die Verantwortung dafür übernehmen, dass zwei ihrer wichtigsten Projekte
finanziell völlig aus dem Ruder gelaufen sind. Sowohl die Großsporthalle als auch der Technologiepark haben den Haushalt wesentlich
höher belastet als geplant. Ich will, dass in Zukunft wieder konservativer kalkuliert wird. Die in den letzten Jahren wieder ansteigende
Verschuldung der Stadt ist noch nicht in der Höhe, aber im Trend besorgniserregend. Mein Ziel ist es, in den kommenden Jahren ohne zusätzliche Schulden auszukommen. Mit wirtschaftlichem Handeln und vorsichtigen Investitionsplanungen ist dies möglich. Steuererhöhungen
kommen nicht mehr in Betracht.Zusätzliche Ausgaben müssen wir durch besseren
Einsatz der knappen Mittel finanzieren. Ein Beispiel ist die Tübinger Feuerwehr: Für Fahrzeuge, bessere Geräteausstattung (besonders
der Atemschutztrupps), Weiterbildung und hauptamtliches Personal müssen wir in Zukunft mehr Geld ausgeben. Das können wir uns leisten, wenn Stadt, Kreis und Rotes Kreuz sich endlich darauf einigen könnten, die beiden bislang vollkommen getrennten Einsatzzentralen von Rettungsdienst und Feuerwehr
zusammenzulegen. Bislang müssen 18 Stellen in den beiden Leitstellen finanziert werden. Integriert würden 12,5 Stellen für dieselbe Aufgabe genügen. Die Stadt würde dauerhaft mehr als 100.000 Euro pro Jahr einsparen. Dieses Geld will ich der Feuerwehr für die Verbesserung ihrer Ausstattung zur Verfügung
stellen.
Den Blick der Verwaltung für unterschiedliche
Auswirkungen städtischen Handelns auf Männer und Frauen will ich schärfen. Die Frauenbeauftragte soll dafür – anders als heute – eine entsprechend starke Stellung erhalten. Gemeinderatsvorlagen und Verwaltungsentscheidungen
sollen einem ‚Gender-Check‘ unterzogen werden: Wie viele Männer und Frauen sind betroffen? Welche Daten sind hierzu vorhanden? Wer hat Vor-, wer Nachteile? Gibt es Unterschiede hinsichtlich der vorhandenen Ressourcen und Bedarfe zwischen den Geschlechtern? Wie lassen sich Gleichstellungsziele im Verfahren erreichen? Und nach der Entscheidung: Wurden diese Ziele erreicht?
Eine moderne Verwaltung ist zugleich wirtschaftlich
und bürgerfreundlich, lösungsorientiert
und pragmatisch, motiviert und lernfähig sowie sensibel für alle Gerechtigkeitsfragen von der Gender- bis zur Altersfrage. Dafür braucht die Stadt einen modernen OB. |